Ein Monument aus Spitze
Mode ist Schein, doch sind die Stoffe von besonderer Qualität oder nahmen die einstigen Träger und Trägerinnen der überlieferten Kleidung eine spezielle Funktion ein, können diese Textilien Zeugnis einer kulturellen Entwicklung ablegen und Aufschluss geben über ihre Epoche. Das Textilmuseum St. Gallen bewahrt ein solches Kleid auf. Dabei soll es sich um ein Ballkleid der Kaiserin Eugénie (1826–1920) handeln. Eugénie de Montijo war von 1853–1871 als Ehefrau Napoleons III. Kaiserin der Franzosen und die letzte Monarchin Frankreichs. Sie galt als Modenärrin und beeinflusste die Mode massgeblich. 1860 wurde sie Kundin bei Charles-Frederick Worth (1825–1895), dem Begründer der Pariser Haute-Couture.
Das der Kaiserin Eugénie zugeschriebene Kleid stammt aus der Sammlung John Jacoby (1869–1953). Es handelt sich um ein zweiteiliges Kleid mit eng anliegender Taille und sehr weitem Rock. Im Inventar ist vermerkt, dass Napoleon III. das Kleid aus Alençon-Spitzen für die Kaiserin Eugénie erworben und dafür 900 Pfund bezahlt hat. Des Weiteren sollen 36 Arbeiterinnen während 18 Monaten an diesem Kleid gearbeitet haben. Datiert ist das Kleid laut Inventar um 1850. Der sichere Beweis, dass das Kleid tatsächlich der Kaiserin gehört hat, ist noch nicht erbracht.
Da zu den grossen Festen der Aristokratie die Hofrobe getragen wurde, bedurfte es zur Zeit des Absolutismus noch keines Ballkleides. Nach der Französischen Revolution fielen die Kleidervorschriften, Handel und Gewerbe wurden freigegeben, was sich schöpferisch auf die Mode des Bürgertums auswirkte. An den unter Napoleon I. in ganz Europa verteilten Höfen fanden neben Staatsakten zur Inszenierung der kaiserlichen Macht auch rauschende Feste statt. Damit wurde die Entwicklung einer neuen Garderobe angestossen und so entwickelte sich das eigentliche Ballkleid erst unter Napoleon I.
Bild: Bildarchiv Textilmuseum St. Gallen