Der Ruf des Ostens: Welsche Gouvernanten und Hauslehrer in Russland
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zog die Beliebtheit der französischen Sprache in Russland zahlreiche Erzieher an, wodurch dauerhafte Beziehungen zur Schweiz geknüpft wurden. Im Verhältnis der Dimensionen des russischen Reiches zur Grösse der Romandie, war dieser Markt immens. In der Waadt, die damals um die 120 000 Einwohner zählte, befand sich in den 1760er-Jahren mehr als jeder Zehnte im Ausland. Das Zarenreich bot attraktive finanzielle und soziale Aufstiegsmöglichkeiten.
Eine erste Schwierigkeit, der die Schweizer in Russland begegneten, war das Fehlen der persönlichen Freiheit. Sich damit vertraut zu machen, aber beispielsweise auch die unbekannten orthodoxen Gottesdienstfeiern zu entdecken, bildeten wertvolle Erfahrungen. Ausserdem konnten sich starke Bindungen zu den Schützlingen entwickeln. Die Aufgabe der Erzieher bestand nicht nur darin, ihren Schülern Französisch beizubringen, sondern auch, ihnen Gesellschaft zu leisten und damit eine kontinuierliche Erziehung zu gewährleisten. Die Schweizer unterrichteten auch Geographie und lasen mit ihren Schülern geschichtliche Werke, um ihren moralischen Sinn und kritische Urteilskraft zu fördern.
Aus einem kleinen Land ohne offensive Aussenpolitik stammend, blieben die Schweizer vor Animositäten verschont, wie sie sich gegen französische, deutsche oder englische Auswanderer richten konnten. Der protestantische Glaube, dem die Erzieher grösstenteils angehörten, schien auch Strenge und Enthaltsamkeit zu garantieren. Und die Schweizer profitierten vom pittoresken Bild ihres Landes, einer harmonischen und idyllischen Schweiz, sowohl in ihrer Natur als auch im sozialen Leben.
Bild: Bibliothèque cantonale et universitaire, Lausanne