Comme d'habitude
Gleich und doch anders
Gemeinsame Vorstellungen benötigen eine Basis: Erzählungen, Praktiken etc., auf denen das Spezifische einer jeden Gesellschaft gründet. Einer dieser Grundzüge im Fall der Schweiz ist die «Präzision», die bei der Uhrenindustrie, dem Eisenbahnnetz oder der Pünktlichkeit mit der Nation assoziiert wird. Es handelt sich hier nicht bloss um einen Mythos. Eine sorgfältige Analyse zeigt jedoch auch, dass die Schweiz nicht darauf beschränkt werden darf. Zum einen weil zahlreiche weitere Arten des Tuns und Seins sie ebenso charakterisieren und zum andern, weil andere Gesellschaften über dieselben Kompetenzen in «Präzision» verfügen. Der nationale Wesenszug der Präzision wird vor allem da verwendet, wo die Schweiz sich selbst darstellt. Dieses Spiel mit Stereotypen und Vereinfachungen macht vor allem deutlich, dass «Identität» etwas relatives ist.
Vor dem Hintergrund von Problemen und Lösungen, die den meisten europäischen Ländern gemeinsam sind, spielt die Schweiz dennoch die Karte des Unterschieds. Der vielgenannte Sonderfall ist nicht nur Ausdruck sondern auch Werkzeug ihres Andersseins. Sicher, die Geschichte der Schweiz ist anders verlaufen als die ihrer europäischen Nachbarn, ihre Wirtschaft ist aber ebenso national wie global und ihre Bewohner kommen zu einem ansehnlichen Teil aus der ganzen Welt. Ist es nicht gerade wegen dieser zahlreichen Ähnlichkeiten zu den Nachbarländern, dass die Schweiz auf der Ebene des Kulturerbes und der nationalen Identität weiterhin ihre Andersartigkeit betont? Die Idee einer «Schweizer Kultur» ist schon wegen der verschiedenen Nationalsprachen komplex. Im Expertenkomitee, das aus den inventarisierten 167 «lebendigen Traditionen» des Landes diejenigen auswählen soll, die bei der Unesco festgehalten werden sollen, findet man auch eine Persönlichkeit wie Vincent Kucholl, einen in der Romandie sehr bekannten Kabarettisten. Und das ist ein sprechender Hinweis auf den distanzierten, leicht ironischen aber nicht minder engagierten Umgang der Schweiz mit ihrer kulturellen Identität.
Bild: Lötschental Tourismus