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Wohnen im Denkmal? Oder: Häuser als Wartungsinseln

Am 29. Juli 2008 meldete sich der Berliner Finanzminister Tilo Sarrazin zur Energie-Krise und steigenden Heizkosten mit einem Vorschlag zu Wort, der unmittelbar heftigste Empörung auslöste: «Das ist menschenverachtend und nicht mehr hinnehmbar», sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der «Rheinischen Post» vom Tag darauf.

Sarrazin hatte den Menschen geraten, angesichts der hohen Energiekosten im Winter die Zimmertemperatur zu drosseln und warme Pullis anzuziehen, denn die 30 Jahre währende Ära, in der 40 Quadratmeter für eine Person auf 21 Grad Raumtemperatur hochgeheizt würden, gehe endgültig zu Ende. SPD-Bundestagsfraktionsvize Ulrich Kelber bezeichnete den Beitrag seines Parteikollegen zur Energiepreisdebatte als «Schmarrn»: «Wer Kleinkinder hat oder etwas empfindlicher ist, kann die Temperatur im Badezimmer ja nicht auf 15 Grad herunterdrehen», sagte Kelber. Auch der stellvertretende Bundesdirektor des Mieterbunds, Lukas Siebenkotten, bezeichnete die Vorschläge als «dumm, falsch und nicht ernst zu nehmen», denn nach der Einschätzung des Deutschen Mieterbundes werde bei einer Zimmertemperatur von 16 Grad, wie Sarrazin sie vorschlug, die Grenze zur Gesundheitsgefährdung überschritten. Sarrazin wiederum verteidigte seine Äußerungen. Jedes Wort sei «wohl abgewogen» gewesen.

Die Vehemenz mit der Sarrazin attackiert wurde, lässt vermuten, dass eine Raumtemperatur von circa 20 Grad im Winter mittlerweile eine Selbstverständlichkeit darstellt und sie erlaubt auf ein Verständnis vom Wohnen zu schliessen, welches jeglichen Bezug zur Kultur und Entwicklung des Komforts verloren hat. Dass Kälte- und Wärmempfindungen nicht nur Teil einer physisch, materiellen, sondern auch einer mentalen-geistigen Kultur und damit unterschiedlich erlebbar und interpretierbar und nicht objektiv gegeben sind, ist anscheinend nur noch schwer nachvollziehbar.

Bild: Jeanmaire & Michel

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