Vom Fugenbild zur Betonkosmetik
Die Spuren der Schalung und die porös rauen Oberflächen gehören seit den 1960er-Jahren zu den Kennzeichen zeitgemässer Betonarchitektur. Beton ist vielen Einwirkungen ausgesetzt und bedarf des Schutzes. Zu den Alterungserscheinungen von Beton gehören die Karbonatisierung von Betonoberflächen durch Feuchtigkeit und damit verbunden die Korrosion von Armierungen und Abplatzungen. Betonsanierung bedeutet meistens: Materialabtrag, Korrosionsschutz, Fugensanierung, Schutzanstrich. Diese Behandlung schadhafter und sicherheitsgefährdeter Betonbauten bedeutet einen Substanzverlust. Sie beseitigt in der Regel zwar die Gefahr weiterer Karbonatisierung, aber auch die denkmalpflegerisch wichtige Aura des Béton brut.
In der denkmalpflegerischen Praxis wird eine originalähnliche Wiederherstellung des Erscheinungsbildes der historischen Oberfläche angestrebt; man spricht von Reprofilierung. Bei der 1987?1991 erfolgten Restaurierung der Basler Antoniuskirche, 1925/27 als erste Betonkirche der Schweiz errichtet, wurden die Aussenfassaden bis auf die Armierung zurückgespitzt und eine neue Betonschale aufgetragen; mit einer Matrize wurde das ursprüngliche Fugenbild auf die neue Oberfläche kopiert. Unter den Begriff «Betonkosmetik» fallen verschiedene Massnahmen: die Reinigung der Fassadenflächen mit Wasser, der Korrosionsschutz bei offener Armierung, das Schliessen und Reprofilieren von Rissen und Schadstellen von Hand, die Dünnbeschichtung der Fassadenflächen sowie der Farbanstrich.
Viele Sichtbetonbauten fehlen in den Bauinventaren, da sie nicht zu den Ikonen der Moderne und den denkmalschützerisch bedeutenden Solitärbauten gehören. Dazu zählen Bauzeugen des Wohnungsbaus aus den 60er- und 70er-Jahren. Auch sie verdienen denkmalpflegerische Fürsorge. Aber: Ein denkmalpflegerischer Leitfaden für den Umgang mit Bauten aus dem schönen wie schwierigen Werkstoff Beton fehlt bislang.
Bild: Archiv Ueli Habegger, Luzern