Unbekannte Schweizer Betonarchitektur
Beton ist mutmasslich der weltweit wichtigste Baustoff des 20. Jahrhunderts. In der Schweiz gedieh die Zementfabrikation früh zu einem bedeutenden Industriezweig. 1833 begann Karl Herosé im Aargau Romanzement herzustellen. Dank den relativ umfangreichen Kalksteinvorkommen in der Schweiz gewann die Zement- und Betonindustrie hierzulande im Verlauf des 20. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Stahlbeton ein Bau- und Konstruktionsmaterial, dem man keinen eigenen architektonischen Ausdruck zugestand. Lediglich einzelne Ingenieure loteten dessen ästhetische Qualitäten aus. Brücken und Hallen zählen zu den ersten Bauaufgaben, die als reine Betonbauwerke konzipiert und ausgeführt wurden. Gerade in der Schweiz begründete eine Reihe kreativer Ingenieure mit dem weitgehend frei formbaren Konstruktionswerkstoff eine weltweit beachtete Ingenieurbaukunst.
Allmählich wurden auch die ersten konsequenten Betonhochbauten entworfen. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen begannen einige Architekten das formbare Baumaterial zu nutzen, um die materialtypischen Eigenschaften des Betons und die damit errungenen bautechnischen Möglichkeiten architektonisch zum Ausdruck zu bringen. Den eigentlichen Siegeszug erzielte die Betonarchitektur aber in der Nachkriegszeit. Zu dieser Hauptphase des Betonzeitalters jedoch, die sich in vielerlei Schattierungen wie Rationalismus, Brutalismus, Funktionalismus etc. auffächert, fehlt es schon an der Begrifflichkeit, vor allem aber an Informationen, Zuordnungen und Bewertungen. Da gegenwärtig viele Sichtbetonbauten der Nachkriegsmoderne ihren ersten Lebenszyklus erreicht haben und einer tiefgreifenden Erneuerung unterzogen werden, muss die architekturhistorische Aufarbeitung der Schweizer Betonarchitektur und ihrer Hauptepoche dringend geleistet werden.
Bild: Aus W. Oechslin, S. Hildebrand (Hrsg.). Karl Moser. Zürich 2010.