Tempus fugit...
Unablässig sind wir der Zeit unterworfen, gleichzeitig offenkundig und ungreifbar. Die mechanische Uhr steht unter den grossen Erfindungen der europäischen Geschichte auf gleicher Höhe wie der Buchdruck: Ihre Auswirkungen auf kulturelle Werte, politische Organisation oder Persönlichkeit waren revolutionär. Die Wissenschaft erarbeitet Zeitkonzepte als differenzierte Definitionen von der Universal- bis zur Relativzeit. Für den Physiker ist die Zeit ein Pfeil mit nur einer Richtung, dessen Masseinheiten Mikro-, Nano-, Pico- und Femtosekunden genannt werden. Für den Historiker ist sie ein Rohstoff, gleichzeitig zyklisch und linear, den er ordnen muss, damit er Sinn ergibt.
Im Mittelalter gründet die Zeit noch auf der Unterscheidung von Tag und Nacht: Der Tag ist im Takt eines liturgischen Rhythmus gegliedert, der von den Turmglocken angezeigt wird. Diese «Kirchenzeit» wird allmählich überlagert durch die Zeit der Händler, die durch ihre Genauigkeit charakterisiert ist. Das Tagesdatum wird im 14. Jahrhundert eingeführt, um den Kalender zu präzisieren. Im selben Jahrhundert verzichten auch die Handelsgesellschaften und Banken auf die alten, von Staat zu Staat unterschiedlichen Methoden der Zeitberechnung, und legen den 1. Januar als Jahresanfang fest. Ebenfalls um diese Zeit werden in der Schweiz und Europa die ersten öffentlichen Uhren errichtet. Die Einführung von Kalendern im 15. Jahrhundert wird im folgenden Jahrhundert ergänzt durch den Gebrauch von Almanachen, die vereinfacht monatliche Messen und Wochenmärkte verzeichnen. Die industrielle Zeit des 19. Jahrhunderts hat eine grundlegende Änderung der alten Rhythmen bewirkt. Heute wird die Zeit mit höchster Präzision und auf umfassende Weise gemessen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist der «Faktor Zeit» zu einem raren und wertvollen Gut geworden.
Bild: Musée d'art et d'histoire, Genève, inv. AD 795