Neue Vergangenheiten
Zur Rekonstruktion der Eremitage im Schlosspark Arenenberg
Im August 2008 wurde die neue Eremitage im Schlosspark Arenenberg für das Publikum geöffnet und als «sorgfältige Bergung» eines historischen Gartens gefeiert. Bei näherer Betrachtung wirft der Gartenteil jedoch Fragen auf.
Wohl in nur wenigen anderen Kulturleistungen des Menschen wird der Widerstreit zwischen Natur und Kunst so deutlich sichtbar wie im Garten. Gärtnern bedeutet, gemeinsam mit und gegen die Natur zu arbeiten. Im Gegensatz zum Architekten arbeitet der Gärtner mit dem lebendigen und wachsenden Material der Pflanze, die dem zyklischen Wandel in der Natur unterworfen ist und jedem fest gefügten Bild entfliehen will. Insbesondere bei historischen Gärten und Gartendenkmalen ist deshalb die ständige Pflege durch verständige Gärtner und spezialisierte Landschaftsarchitekten eine zentrale Voraussetzung für ihren Erhalt. Ziel der Pflege ist es, das Gartendenkmal in seiner räumlichen Komposition, in seiner historischen Vielschichtigkeit und seinen Altersspuren zu erhalten. Weil sich aber Pflegeversäumnisse oder Zerstörungen in fast jeder Anlagengeschichte finden, kann es auch zur Arbeit der Gartendenkmalpflege gehören, wertvolle vorgefundene Strukturen zur restaurieren.
Restaurierungen, wie auch Rekonstruktionen ganzer verschwundener Gartenpartien, müssen sich hohen wissenschaftlichen Ansprüchen stellen. Sie sind streng genommen nur dann möglich und als solche zu bezeichnen, wenn der Ort und die originale Form exakt belegt werden kann, wenn die alten Materialien und Pflanzenarten bekannt und erhältlich und die ehemaligen Handwerkstechniken nicht verloren gegangen sind. Aufgrund der Schwierigkeiten, derartige Ansprüche zufriedenstellend zu erfüllen, kann die Restaurierung laut der Charta von Venedig zwangsläufig nur «Ausnahmecharakter» haben und «findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt». Wer Verlorenes wieder herstellen will, darf also damit rechnen, kritisch hinterfragt zu werden.
Vor fast zwei Jahrhunderten, nämlich im Jahr 1817, erwarb Hortense de Beauharnais (1783–1837), die Stieftochter Napoleons I. und Mutter Napoleons III., das Schlossgut Arenenberg am Bodensee. Das beschauliche und reizvolle Gut lag auf der Hangkante über dem Untersee und war umgeben von Wald und Weinbergen. Sofort nach dem Kauf von Arenenberg begann die gartenbegeisterte Hortense, die vorgefundene Landschaft nach ihren eigenen Vorstellungen zu erschliessen und ausschmücken zu lassen. Auf einer Geländeterrasse im Steilhang mit Blick über den See entstand so in heiterer Waldeinsamkeit der Garten der Eremitage von Arenenberg. Er erscheint auf den Darstellungen der Zeit als ein liebevoll angelegtes, kleinräumliches Ensemble mit bescheidenen Attraktionen wie Eremitenhäuschen, Springbrunnen, Eiskeller und Zierpflanzungen.
Der Parkteil der Eremitage wurde im 19. Jahrhundert verschiedentlich umgestaltet, eine neue Grotte gebaut, das Wegesystem vereinfacht. 1906 erhielt der Kanton Thurgau den Arenenberg als Schenkung. In den folgenden Jahren wurde der Bereich der Eremitage vernachlässigt und in Teilen zerstört, 1973/74 die verbliebenen Fragmente zerdrückt, als sie mit bis zu sieben Meter Aushub überschüttet wurden, die beim neuen Bau der Landwirtschaftsschule auf der Hangoberkante anfielen. Damit war die Eremitage endgültig zerstört, ihre Bauwerke, Pflanzungen und ihre Topografie verloren.
Bild: Johannes Stoffler