Das Gedächtnis des Wassers – Vorindustrielle Lastsegelschiffe in der Schweiz
Bis in die Zeit um 1900 stellten Europas Seen und Flüsse ein zusammenhängendes, elementares Wegenetz dar, auf dem über viele Jahrhunderte hindurch Waren des täglichen Bedarfs sowie des internationalen Fernhandels, aber auch Menschen und Tiere, auf verschiedengestaltigen Wasserfahrzeugen befördert wurden. Die Schweiz, am nördlichen Fuß der Alpen gelegen, nahm dabei – sicherlich seit dem Neolithikum – eine zentrale Schlüsselposition für den Nord-Süd-Verkehr zwischen Deutschland und Italien und für den Ost-West-Transit in Richtung Frankreich/Mittelmeer ein.
Sind die wirtschaftlichen, rechtlichen und historischen Zusammenhänge dieses Wasserverkehrs mitunter bereits sehr gut untersucht, so standen die traditionellen Transportmittel selbst, die hölzernen Lastschiffe also, bislang nicht im Vordergrund des Interesses. Gleichzeitig ist zu bedauern, dass sich in der Schweiz nur wenige dieser vorindustriellen Fahrzeuge erhalten konnten. Zu schnell hatte der Fortschritt der Industriellen Revolution das alte Gewerbe und Handwerk in einer Zeit überrollt, als der «Vater der Pfahlbauten», der Zürcher Gelehrte Ferdinand Keller, bereits ein bemerkenswertes schiffsarchäologisches Forschungsprogramm formulierte. Neue Verkehrsmittel aus Stahl und Dampf (Dampfschiff und Eisenbahn) sollten im 19. Jahrhundert rasch die Oberhand in der Spedition gewinnen. Aus diesem Grund lassen sich hölzerne Lastsegelschiffe im Original und als Produkt eines weitestgehend schriftlosen Handwerks heute lediglich als Wracks unter Wasser genauer studieren, um Informationen über ihre Form, Ausstattung, Bauweise und Ladung, zu Typenvielfalt, Innovationen und Entwicklung zu erhalten.
Eine kürzlich vom Verfasser vorgelegte Studie führte vor allem für das ost- und zentralschweizerische Gebiet zwischen Boden- und Vierwaldstättersee eine Bestandesaufnahme und Detailuntersuchung von archäologisch bedeutsamen Schiffswracks vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert durch, doch greift die umfassende Arbeit auch auf das Seengebiet der Westschweiz über und bietet somit die erste zusammenfassende Darstellung vorindustrieller Lastsegelschiffe auf Schweizer Gewässern. Ein derartiges, auch denkmalpflegerisch wertvolles Inventar war grundsätzlich nur durch eine intensive Zusammenarbeit mit Sporttauchern möglich, da diese in der Regel besser über derartige subaquate Fundstellen Bescheid wissen als die professionelle Archäologie und Denkmalpflege. Letztere kann und muss sich mehrheitlich – wenn überhaupt möglich – «nur» auf die für die europäische Urgeschichtsforschung so wertvollen prähistorischen Seeufersiedlungen konzentrieren.
Bild: Archiv Verkehrshaus der Schweiz