Auch Kulturgut litt schwer unter dem Hochwasser
Die schweren Unwetter des vergangenen Jahres, die praktisch den gesamten Alpennordhang vom Kanton Waadt bis zum Kanton Graubünden betrafen, verursachten auch enorme Schäden und Verluste am Kulturgut. Der Fachbereich Kulturgüterschutz KGS im Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS hat deshalb Mitglieder des Schweizerischen Komitees für Kulturgüterschutz beauftragt, bis Ende 2006 einen Bericht über diese Ereignisse zu erstellen. Daraus sollen auch Empfehlungen an die Kantone und an den Bund abgeleitet werden. Schon jetzt ist aber klar, dass präventive Schutzmassnahmen entscheidend zur Schonung von Kulturgütern im Ereignisfall beitragen können.
Hans Schüpbach, Fachbereich Kulturgüterschutz, BABS
Noch hat man die Bilder der gewaltigen Hochwasser vom Herbst 2002 in Tschechien und Deutschland nicht vergessen: Der Zwinger und die Semper-Oper in Dresden standen meterhoch unter Wasser, Tausende Kubikmeter von wassergeschädigten Dokumenten aus tschechischen Archiven und Bibliotheken mussten eingefroren werden, damit sie nicht vom Schimmelpilz befallen wurden. Doch auch in der Schweiz haben im August 2005 Wassermassen Kulturgüter zerstört: Zu beklagen waren unter anderem die Überschwemmung eines Archivs im Kanton Aargau, Schäden in einem Depot des Bernischen Historischen Museums in Thun, ein Wassereinbruch im Verkehrshaus in Luzern und sogar die Flutung eines bislang sicheren Kulturgüterschutzraumes im Frauenkloster St. Andreas im obwaldnerischen Sarnen.
Schon nur diese wenigen Beispiele belegen die zerstörerische Wucht der Unwetter vom vergangenen Sommer. Und sie zeigen auch deutlich, dass Naturkatastrophen nicht nur menschliches Leid mit sich bringen, sondern stets auch Zerstörungen am Kulturgut. Allein der Restaurierungsaufwand der Objekte aus dem Frauenkloster in Sarnen soll sich auf rund drei Millionen Franken belaufen. Gesamtschweizerisch bewegen sich die Schäden in höheren zweistelligen Millionenbeträgen, wobei der ideelle Wert von Kulturgütern ja gar nie durch Versicherungen gedeckt oder ersetzt werden kann. Oft gehen bei solchen Unwetterereignissen Jahrhunderte alte Kulturgüter von unschätzbarem Wert für immer verloren.
Immer wieder verheerende Hochwasser
Schon das Unwetter 1987, das insbesondere die Kantone Uri, Tessin, Wallis und Graubünden betroffen hatte, führte zu grossen Schäden. Aus Kulturgüter-Sicht musste damals etwa der Verlust der «Häderlisbrücke» am Gotthard-Saumpfad zur Kenntnis genommen werden, die durch die wilde Reuss grösstenteils weggespült worden war. Auch wenn der Flussübergang 1990/91 nach alten Plänen und Aufnahmen wieder errichtet wurde, ging der Charakter des Bauwerks – seit 1701 war hier eine Brücke bezeugt – doch weitgehend verloren. Weitere Hochwasser folgten in den Jahren 1999, 2000, 2002 und nun im vergangenen August 2005.
Nimmt man noch den Lawinenwinter 1999 und die Stürme Vivian (1990) und Lothar (1999) hinzu, wird man den Eindruck nicht los, dass sich Unwetterereignisse in jüngerer Zeit bedrohlich häufen. Statistisch gesehen gibt es dafür aber noch keine Bestätigung, war es doch auch in der Vergangenheit immer wieder zu «Jahrzehnt-Perioden» gekommen, in denen sich vermehrt Unwetter ereignet hatten: etwa in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Mitte des 18. Jahrhunderts, zwischen 1830 und 1852 oder auch im Zeitraum von 1868 bis 1891.
Prävention in der Schweiz auf gutem Stand…
Oft sind es einfach Versäumnisse, die sich − zuvor Jahre lang nicht behoben − im Ereignisfall katastrophal auswirken können. «Prävention» ist deshalb ein Schlüsselwort, damit man bei einem Schadenereignis rasch und effizient reagieren kann. Oberstes Ziel muss es sein, Gefährdungen künftig mit Hilfe vorsorglicher Schutzmassnahmen verhindern oder wenigstens minimieren zu können.
Feuer, Wasser, Diebstahl, Naturkatastrophen, Vandalismus oder Schädlingsbefall stellen − neben Terrorakten und bewaffneten Konflikten − zunehmend Probleme für Kulturgüter im In- und Ausland dar. Gerade in der Schweiz, wo man glücklicherweise von bewaffneten Konflikten weitgehend verschont blieb, hat man das Augenmerk seit je auf Alltagsgefahren und Naturkatastrophen gerichtet.
In diesem Bereich werden denn auch die Bestrebungen des schweizerischen Kulturgüterschutzes weltweit als vorbildlich bezeichnet, zumal die in Art. 5 des Zweiten Protokolls (1999) zum Haager Abkommen von 1954 explizit geforderten Schutzmassnahmen in der Schweiz seit längerer Zeit konsequent umgesetzt werden. Ein Beispiel für die Planung solcher Schutzvorkehrungen war etwa bereits der 1998 vom KGS herausgegebene «Katastrophenplan», welcher die Besitzer von Kulturgütern auf mögliche Gefahren sowie präventive Schutzmassnahmen aufmerksam machte. Die meisten der in diesem Dokument aufgeführten Punkte treffen auch heute noch zu, wenn es um das Vermeiden von Schäden in kulturellen Institutionen geht (Download des Dokuments via www.kulturgueterschutz.ch möglich).
…aber vorsorgliche Schutzmassnahmen müssen künftig noch vermehrt gefördert werden
Im Rahmen der Beschäftigung mit einem integralen Risikomanagement kommt Szenarien wie Naturkatastrophen (Erdbeben, Lawinen, Erdrutsche usw.), Hochwasser-Situationen oder Bränden, in denen Kulturgüter bedroht sind, eine wichtige Rolle zu. Ein wichtiges Instrument sind zudem die von den Kantonen bis 2011 flächendeckend zu erstellenden Gefahrenkarten, die auch einiges über gefährdete Standorte von Kulturgütern aussagen können. Nicht zuletzt wird man künftig auch der Wahl des Standortes von Kulturgüterschutzräumen eine noch grössere Bedeutung zumessen.
Das Ziel, Schwachstellen ausmerzen zu können, verfolgt auch die Nr. 8 der Zeitschrift «KGS Forum», die sich eingehend mit dem Schwerpunktthema «Hochwasser» befasst. Handlungsbedarf für Schutzmassnahmen erkennt Rino Büchel, Chef des Fachbereichs KGS im BABS, künftig hauptsächlich in fünf Bereichen:
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Sammlungs-Standorte und die wichtigsten unbeweglichen Kulturgüter sind auf Karten der Führungsstäbe einzutragen. Ebenso sollen Verpackungs- und Transportmöglichkeiten in kulturellen Institutionen bezeichnet werden. Im Weitern sind Notdepots für die vorübergehende Aufnahme von Kulturgütern sowie Kühlanlagen, in denen wassergeschädigtes Archiv- und Bibliotheksgut zwischengelagert werden kann, vorzusehen.
Rechtzeitiges Warnen und Alarmieren von kantonalen Behörden und kulturellen Institutionen sind wesentlicher Schlüssel, um noch vor einem Schadenereignis Bergungsmassnahmen für bewegliche Kulturgüter einleiten zu können.
Schutz von Menschenleben ist bei der Bewältigung eines Schadenereignisses für Einsatzkräfte immer prioritär. Es ist deshalb wichtig, dass Museen, Bibliotheken, Archive usw. eigene Fachkräfte bestimmen, die auch Sofortmassnahmen für betroffenes Kulturgut einleiten können.
Gemeinden sind bei Schadensereignissen auf KGS-Personal im Kanton sowie auf weitere Fachleute angewiesen. Der Bund strebt deshalb an, modulartig einen Pool von Fachleuten aufzubauen, der auch unter erschwerten Bedingungen rasch zum Einsatz kommen könnte.
In Aus- bzw. Weiterbildungen an Fachhochschulen und in Bundeskursen sollen Szenarien und Massnahmen gegen Brände und Hochwasser vermehrt thematisiert werden.
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Zusammenarbeit statt «Gärtchen-Denken»
Um möglichst effiziente Vorkehrungen im Interesse des Kulturgutes treffen zu können, ist auch eine konstruktive Zusammenarbeit unter den beteiligten Behörden und Organisationen von zentraler Bedeutung. Der Fachbereich KGS im BABS arbeitet deshalb eng mit Vertretern aus Denkmalpflege, Archäologie, Museen, Bibliotheken und Archiven sowie mit den Partnerorganisationen im System Bevölkerungsschutz – insbesondere Polizei und Feuerwehr – und mit der Armee zusammen.
In den Krisenstäben auf kantonaler Ebene wird zudem die Rolle der kantonalen KGS-Verantwortlichen, gerade bei der Zusammenarbeit mit der Feuerwehr (bei Bränden in historischen Gebäuden sowie bei Überschwemmungen), wichtiger werden.
Nicht zuletzt können Chefs KGS und KGS-Spezialisten auf kommunaler bzw. regionaler Stufe im Rahmen ihrer Zivilschutztätigkeit viel zur Erstellung präventiver Schutzmassnahmen beitragen.
Bild: BABS, Hermann Hofer, Bern